Impuls 256. I hate my boss – drei Gründe, seinen Chef zu verlassen
Damals war das normal. Wir haben alle viel gearbeitet. Es gibt auch heute noch viele Unternehmen, da gehört die Arbeit von 8 bis 20, 22 Uhr oder noch länger zum guten Ton. Nun, manche Menschen möchten das. Sie möchten Karriere machen. Sie möchten Erfahrungen sammeln, die sie eben nur in einigen wenigen Unternehmen sammeln können. Manche möchten viel Geld verdienen und manche lieben einfach ihren Job. In Unternehmensberatungen, Kanzleien, Werbeagenturen, Zahnarztpraxen oder großen multinationalen Konzernen. Manchmal liegen die Gehälter deutlich über dem Durchschnitt, manchmal auch nicht. Ich persönlich habe das auch für mehrere Jahre gemacht, als ich noch Manager bei Unilever war. Und ich habe es gern gemacht. Ich war ehrgeizig und hatte sehr hohe Ansprüche an mich und meine Arbeit. Also fuhr ich um acht, neun oder zehn Uhr abends relativ müde nach Hause, während andere Menschen eine laue Sommernacht an der Alster genossen. Während der Tagesthemen, die ich damals noch liebte und regelmäßig verschlang, fielen mir oft die Augen zu.
Kein Wunder, dass mein erstes Buch „Loslassen für Führungskräfte“ hieß.
Kein Wunder, dass mein Podcast „Führen wie ein Löwe“ heißt. Denn der Löwe kümmert sich nur um SEINE Aufgaben im Löwenrudel. Die zeitaufwendige Jagd auf Zebras und Antilopen überlässt er aber den wendigeren, schlankeren und agileren Löwinnen. Die Löwinnen sind einfach die besseren Jäger. Somit ist der Löwe für mich das Vorbild moderner, agiler Führung, da er sich erstens auf seine Kernaufgaben fokussiert und zweitens die Löwinnen selbst bestimmen, mit welcher Jagdstrategie sie jagen.
Viele Arbeitsstunden = viel Anerkennung. Und sonst so?
Zurück zur Arbeitszeit und den Überstunden. Wenn Menschen viel arbeiten, ist das aus meiner Sicht nicht falsch. Wenn sich Menschen darauf einigen und damit zufrieden sind, dann ist es gut, wenn sie das weiterhin praktizieren. Jedenfalls solange, wie beide Beteiligten dabei gesund bleiben. Bei Unilever gab es einen Spruch, der hieß: „Wenn das Projekt vorbei ist, dann wird es besser.“ Also hatten wir schon den Wunsch, weniger zu arbeiten. Uns gefiel die Idee, weniger zu arbeiten. Manchmal träumten wir vielleicht auch davon. Aber mehr auch nicht. Denn das Projekt wurde beendet, aber die nächsten zwei Projekte luscherten schon um die Ecke. Die Arbeit wurde nie weniger. Und unsere Arbeitsstunden auch nicht. Ein Kollege im Einkauf, nennen wir ihn Axel, hatte für das Phänomen der vielen Arbeitsstunden eine einfache Erklärung: „Die Firma sucht sich sehr qualifizierte, sehr ehrgeizige, karriere-orientierte Menschen. Und wenn die nicht mehr können oder wollen, dann sucht sich die Firma die Nächsten. Die stehen schon in einer langen Schlange an und warten.“
I hate my boss: Grund 1 “Der Aufbürder“
Das ist zum Teil Firmenkultur, zum Teil ist es der Chef oder die Chefin, die einem immer mehr auf den Schreibtisch legt. Oft mit der skrupellosen Erwartung, dass das bis morgen früh fertig ist. Oft braucht es aber auch gar keine solchen Worte, wenn es sich um einen folgsamen, ehrgeizigen Mitarbeiter handelt. Denn die Mitarbeiter sind selbst Teil des Phänomens: Es ist ja immer noch Arbeit da, wenn wir das Büro verlassen – egal, ob wir nach 8, 10 oder 12 Stunden das Unternehmen verlassen. Es gehören immer zwei dazu. Eine Chefin, die den Impuls gibt, sehr viel zu arbeiten durch große Projekte und Aufgaben sowie einen Mitarbeiter, der darauf anspringt und dann eben viele, viele Stunden arbeitet.
Wenn Sie also zu denjenigen gehören, die viel arbeiten und sich gut damit fühlen, dass Sie viele andere Dinge im Leben, wie Sport, gesunde Ernährung, Familie & Freunde, Zeit für sich selbst, reduzieren, dann machen Sie weiter. Wenn Sie aber ein Brennen, eine Sehnsucht nach etwas anderem spüren, dann verändern Sie etwas. Selten wird Ihre Chefin das für Sie tun. Das müssen Sie als Mitarbeiter tun.
Hassen bringt keine Ergebnisse – Handeln schon
Eine meiner Kolleginnen bei Unilever, nennen wir sie Tina, entschloss sich eines Tages, nicht mehr 10 Stunden und mehr täglich zu arbeiten. Jeden Tag ging sie ab sofort pünktlich um 18 Uhr in ihren Feierabend. Jeden Tag. Dafür machte Sie eine kurze Mittagspause und erledigte alle wichtigen Dinge gut. Nein, Sie bekam keinen Ärger mit Ihrer Chefin. Nein, Sie hatte auch keine Probleme mit Ihren Projekten. Stattdessen bekam sie ein Jahr später eine sehr beliebte Position in Mailand angeboten, die sie mit Kusshand annahm. Das erscheint Ihnen nicht möglich? Nun, das dachte ich damals auch. Hut ab vor Tinas Konsequenz, Klarheit und Durchsetzungskraft!
Wir hatten bei Unilever damals viele Burnouts. Ich blieb verschont. Ich vermute, dass es knapp war. Aber viele andere erlagen der Erschöpfung. Doch kaum ein Chef ging jemals zu seinen Mitarbeitern, um zu sagen „Ich erwarte, dass Du nicht mehr als 10 Stunden arbeitest“ oder „Bitte nimm Dir nächste Woche einen Tag frei und lass den Laptop in der Firma, dass waren jetzt genug Überstunden in der letzten Zeit“.
Bei meinen Mitarbeitern propagiere ich heute: Wir arbeiten viel, wir arbeiten konzentriert. Private WhatsApp-Nachrichten werden zwischendurch nicht geschrieben. Aber das machen meine Mitarbeiter eben nur 40 Stunden in der Woche. Die Prioritäten zuerst und dann eben das, was wir noch schaffen. Den Rest machen wir morgen. Und mein Geschäft läuft erfolgreich… ok, nicht in der Corona-Zeit. Aber sonst.
I hate my boss: Grund 2 “Der Selbstmacher“
Meine Vermutung ist, dass dies einer der häufigsten Führungsfehler ist. Das Zepter selbst in die Hand nehmen und die Mitarbeiter nur als Handlanger nutzen. Dabei könnten Chefs damit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie entlasten sich selbst und haben mehr Zeit für das Wesentliche und die Mitarbeiter können zeigen, was in Ihnen steckt, können wachsen, können lernen und stolz sein auf ihren Beitrag zum Team- und Unternehmenserfolg.
Dieses Selbermachen hat viele Facetten. Da ist zunächst der hohe Gesprächsanteil im Team-Meeting. Wie viel Prozent der Zeit sprechen Sie, liebe Führungskraft, und wie viel Prozent der Zeit sprechen Ihre Mitarbeiter? Es heißt doch ‚Team-Meeting‘ und nicht ‚Chef-Meeting‘. Dabei könnte es so schön, anregend und sinnvoll sein, dass sich Menschen treffen, austauschen und gemeinsam an Lösungen arbeiten, oder? Wer sich fragt, wie er oder sie sein Team zu mehr mitmachen und Eigeninitiative bewegt, kann sich gern bei mir melden. Solche Coachings führe ich online oder auch persönlich mit Ihnen und / oder Ihrem Team durch. Die nächste Facette des Selbermachens ist der hohe Gesprächsanteil des Chefs im 1:1 Gespräch. Und selbstverständlich kommen die Lösungsansätze für die besprochenen Themen von der Chefin und die Zusammenfassung am Schluss macht auch die Chefin. Super. Die kann was. Tut sie auch. Aber die Kern-Aufgabe einer Führungskraft ist es, die PS der Mitarbeiter auf die Straße zu bringen. Also, nochmal ein Plädoyer für Loslassen.
Ich selbst reagiere auf so was total allergisch. Sogar, wenn ich privat Menschen treffe, die meinen, sie müssten 80% der Zeit sprechen, dann meide ich diese Menschen und treffe sie nur noch selten oder gar nicht mehr – auch wenn ich sie grundsätzlich sehr schätze. Ich wünsche mir Dialoge, Neugier und Austausch: Gespräche, tiefgehende Gespräche, in denen der Redeanteil beider Personen im Laufe eines Gesprächs ausgeglichen ist. Wenn ich mich zutexten lassen wollte, könnte ich ja auch ins Kino gehen.
Noch eine Facette des Selbermachens: die großen Projekte, die wichtigen Telefonate mit Kunden oder Präsentationen vor wichtigen Gremien macht der Chef. Allein. Ich weiß noch, dass mein Chef Gerald mich vor einem wichtigen Gremium selbst meinen Produktlaunch präsentieren ließ, obwohl das nicht üblich war. Im Anschluss lobte er sogar meine Performance. Auf die Frage, was ich noch hätte besser machen können, sagte er: „War super, mach es genauso beim nächsten Mal auch.“ Im Anschluss ging ich zwei Zentimeter größer über den Flur. So geht es auch.
Je nach Ausprägung sind Selbermacher-Chefs schwer zu verändern. Die meisten Chefs wissen sogar, dass sie zu viel selbst machen und zu viel selbst reden. Eine helfende, unterstützende, kritische Ansprache ist daher sehr sinnvoll. Tipps im Video für ein solches Gespräch finden Sie unter diesem Link.
Eine Veränderung wird aber nur eintreten, wenn Sie sich darauf einigen, das Thema über mehrere Monate zu betrachten und das Thema alle vier oder sechs Wochen noch einmal besprechen. Dann haben Sie eine Chance. Denn neue Gewohnheiten manifestieren sich erst nach vielen Wiederholungen.
I hate my boss: Grund 3 “Der Fiese”
Ich hatte tatsächlich einmal eine Führungskraft, die mir Informationen gab, um mich auf fiese Art und Weise zu beeinflussen. Sie erzählte mir zum Beispiel, dass ich das viel besser mache als meine Kollegin. Das hat mich damals irritiert. Mit meiner Kollegin verstand ich mich sehr gut und ich hab mich darüber mit ihr ausgetauscht. Meine Kollegin erzählte mir zu meinem Erstaunen, dass meine Führungskraft auch schlecht über mich sprach im Dialog mit meiner Kollegin. Ich fand das alles sehr merkwürdig. Ich hatte damals Glück, weil meine Führungskraft das Unternehmen nach einem knappen Jahr verließ. Aber im nächsten Unternehmen wurde alles noch viel merkwürdiger. So hörte ich von einem Kollegen, der dieser Führungskraft in das andere Unternehmen nachfolgte. Dort war es so heftig, dass die Mitarbeiter dieser Führungskraft einen Teamworkshop abbrachen und morgens früh um 5 Uhr heimlich das Hotel verließen.
Wenn die Züge Ihrer Führungskraft heimtückisch und unfair werden, dann fragen Sie vorsichtig nach: „Warum erzählst Du mir, dass meine Kollegin das schlecht macht?“ Ich habe mich das damals nicht getraut. Ich habe noch nicht einmal daran gedacht, meine Führungskraft zu konfrontieren. Aber vermutlich ist es der klügere Weg, sich nach einem neuen Job umzusehen innerhalb oder außerhalb des Unternehmens, wenn Ihre Führungskraft solche merkwürdigen Verhaltensweisen an den Tag legt. Teilweise ist im Unternehmen ja sogar bekannt, welche Führungsmethoden eine Führungskraft an den Tag legt. Aber solange die Ergebnisse stimmen, schaut so manche Führungskraft über schlechte Führungsmethoden Ihrer eigenen Führungsriege hinweg. Also, können Sie sich nur selbst helfen und sich wegbewerben. Hoffentlich haben Sie ein gutes Netzwerk im oder außerhalb des Unternehmens aufgebaut, um schnell einen anderen guten Job zu finden.
Exzellente Führung ist heute DER Erfolgsfaktor für erfolgreiche Unternehmen. Und die Qualität von geschulten Führungskräften nimmt glücklicherweise immer mehr zu. Wenn Ihre Führungskraft noch nicht zu den sehr guten gehört, dann empfehlen Sie ihr doch mal diesen/meinen Podcast „Führen wie ein Löwe“ oder meinen/diesen Blog. Am besten gleich die Episode 1 bzw. den Blog-Impuls 184. Denn darin lernt sie gleich, was jagen bzw. führen wie ein Löwe heißt: Anderen, nämlich den Mitarbeitern, zu vertrauen, sie in die Verantwortung bringen, selbstbestimmt jagen lassen und sich selbst auf das für sie Wesentliche konzentrieren.
Und wenn das alles nichts bringt? Dann suchen Sie sich eben einen neuen Job. Sie bilden sich weiter, Sie sind aufmerksam, Sie lesen/hören solche Podcasts/Blogs und lernen. Solche guten Leute werden ÜBERALL gesucht. Stellen Sie Ihre Energie, Kreativität und Schaffenskraft bei einem guten Unternehmen und einer guten Führungskraft unter Beweis.
Viel Erfolg, Ihr Markus Jotzo
Wenn Sie Unterstützung bei Führungsthemen benötigen, dann schreiben Sie mich an unter service@markus-jotzo.com oder rufen mich an: +49 40 60 59 29 56.
Alle meine Vorträge, Trainings und Coachings finden auf Wunsch auch online statt.
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