Impuls 284. Gift für den Change: Die gut gemeinte Zutat – Den Change meistern Teil 20
Letztes Jahr coachte ich eine Führungskraft. Nennen wir ihn Frederic. Er ist ehrgeizig. Er hat viel Erfahrung. Und er hat eine große Verantwortung. Natürlich will er etwas bewegen. In seinen 25 Jahre Berufserfahrung im Controlling und im Audit hat er schon so manches Projekt gestemmt. Das soll so weitergehen. Deshalb ist er vor drei Jahren in dieses Unternehmen gewechselt, und deshalb kniet er sich auch richtig rein.
Der Change-Prozess zieht sich jetzt schon eine ganze Weile hin. Die Zustimmung des Betriebsrats für diverse Veränderungen ließ eine ganze Weile auf sich warten. Und dann war sich die Führungsspitze auch eine ganze Zeit lang nicht einig, weil eine entscheidende Position in der Geschäftsführung neu besetzt wurde.
Also möchte die Geschäftsführung des Unternehmens die neue Struktur bald umgesetzt und – insbesondere – bald funktionieren sehen. Und erst recht Frederic. Doch wie das so ist im Change, brennen nicht alle so begeistert für die Veränderung. Sowohl Mitarbeitenden, wie auch einigen Führungskräften geht das alles einen Schritt zu schnell. Dann gab es auch noch Entlassungen im Rahmen der Umstrukturierung und neue Teams haben sich auch gebildet. Und klar, die Prozesse und Abläufe ändern sich ebenfalls.
Inmitten von all den Veränderungen agiert Frederic. In Meetings und Einzelgesprächen brennt er auf Ergebnisse: neue, funktionierende Prozesse und zufriedene Kunden. Anders ausgedrückt: Frederic hat wenig Lust zu warten. Denn er ist richtig ehrgeizig und richtig ungeduldig.
Ungeduld – DAS Gift für erfolgreiche Veränderungen
Frederics Ehrgeiz und seine Ungeduld haben geholfen, viele Erfolge zu erzielen. Doch seine Ungeduld – und der Druck, den er von oben spürt – führen zu … sagen wir … ungünstigem Verhalten. Er bricht Diskussionen in Meetings eher mal ab, um schnell eine Lösung oder einen Lösungsprozess vorzuschlagen. In Einzelgesprächen mit Mitarbeitern und Führungskräften hört er sich die Sorgen, Nöte und Einwände immer nur kurz an, um dann schnell Nägel mit Köpfen zu machen und konkrete Lösungen zu diktieren. Mitarbeiter und auch Führungskräfte sind nicht so schnell im Kopf wie Frederic. Und sind emotional nicht so begeistert von dem einen oder anderen Detail. Das merkt Frederic schon, aber was soll‘s. Es gilt, zu agieren, nicht zu reden. Reden produziert ja keine Ergebnisse. Oder vielleicht doch?
Der Change hakt: Auch die Zeit heilt die Wunden schlecht
Einige Wochen später.
Die Mitarbeiter brennen immer noch nicht für den Change. Die Zusammenarbeit hakt immer noch hier und dort. Stattdessen hört man immer häufiger die Aussage „Dafür bin ich nicht mehr zuständig“. Und ein weiter Klassiker im Projektgeschäft und im bei Veränderungen: Aufgrund knapper Ressourcen verzögert sich immer wieder die Zuarbeit in den Projekten.
Wenn dann sogar eine Führungskraft zögerlich agiert, also eine Person, die doch Verantwortung übernehmen soll und den ganzen Laden nach vorn bringen soll, dann kann Frederic schon mal der Kragen platzen. Frederic denkt dann so ‘was wie „Der muss doch mal langsam verstehen, was seine Aufgabe ist und darf nicht mehr an den alten Prozessen kleben.“
Doch so einige Mitarbeitende wie Führungskräfte kleben weiter.
Die Lösung: für manche Führungskraft ein richtig dickes Brett
Kommt Ihnen das eine oder andere aus diesem deutschen Unternehmen bekannt vor? Was braucht es? Wie würde es besser gehen?
Nun, in Change Prozessen gibt es immer wieder Emotionen. Unsicherheiten und Ängste, wie es weiter geht, ob der eigene Job sicher ist und wie denn die Doppelbelastung von alter und neuer Tätigkeit zu schaffen ist.
Und es gibt Informationsbedürfnisse. Wann die nächsten Schritte kommen, wie die künftigen Herausforderungen genau aussehen und welche Unterstützung von oben kommt.
Frage: Wie produktiv kann eine ängstliche, unsicherere Mitarbeiterin arbeiten? Genau, nicht sehr produktiv. Denn es gibt viele Gespräche unter den Mitarbeitenden über diese unbeantworteten Fragen, das stiehlt viel Schaffenskraft. Und es die Konzentration und Lust aufs Anpacken ist ebenfalls … naja, suboptimal.
Doch gerade in diesen herausfordernden Zeiten braucht es besonders viel Engagement, Mitziehen und kreatives, pragmatisches Anpacken.
„Wie geht?“ fragen sich viele Führungskräfte und haben keinen blassen Schimmer. Der Ausruf „Das kann doch alles nicht so schwer sein!“ ist auf jeden Fall keine Lösung. Ungeduld ist nicht die Lösung. Ungeduld ist das schlimmste Gift für einen Change Prozess.
Konkrete Lösungen für gelingende Veränderungsprozesse
Was braucht es? Zunächst einmal braucht es Führungskräfte, die geduldig zuhören, den Mitarbeitenden das Gefühl geben, dass diese nicht allein sind, und die gemeinsam mit den Mitarbeitenden das Thema anpacken.
Ungeduld im Dialog ist bei intensiven Emotionen eines Mitarbeiters Gift für eine mögliche wiederaufkeimende Anpacklust.
Zwei Beispiele.
Beispiel 1:
Ein Geschäftsführer sagte mir kürzlich: „Dieses ganze Gemecker und Gemaule immer wieder zu hören, kann einem ganz schön den Nerv rauben.“ Ja, das ist nicht leicht. Entscheidend ist aber nicht nur das anzuhören, sondern auch darauf einzugehen und gemeinsam mit dem Mitarbeitenden eine konstruktive Vorgehensweise zu den Meckerpunkten zu erarbeiten. Und ja, die Führungskraft darf auch – es ist sogar ihre Aufgabe – klar Erwartungen äußern.
Die Mischung macht’s: Gutes Zuhören, klares Verstehen, konstruktives Erarbeiten von Lösungsansätzen auf der emotionalen Seite. Und klar eigene Erwartungen äußern, welche Ergebnisse bis wann zu erzielen sind.
In Steven Covey’s Klassiker „7 Wege zur Effektivität“ lautet Weg 5: „Erst verstehen, dann verstanden werden.“ Also: erst zuhören, die Emotionen einfühlsam und geduldig verarzten mit konkreten Lösungen. Und dann die eigenen Erwartungen äußern und klare Umsetzungsvereinbarungen für die geschäftliche Ebene treffen. In dieser Reihenfolge.
Beispiel 2:
Eine Führungskraft erzählte mir kürzlich, dass ein Mitarbeiter ihr 90 Minuten lang das Herz ausgeschüttet hat, weil die Herausforderungen so groß sind. Nun, diese Führungskraft ist offensichtlich eine gute Zuhörerin. Aber bitte nicht für 90 Minuten! Zu viel Geduld ist auch nicht das Richtige. Was mögen von den 90 Minuten konkrete und relevante Punkte gewesen sein? Doch vermutlich viel Wiederholung und Diskussionen, die sich im Kreis drehen.
Besser ist den Mitarbeiter zu unterbrechen mit den Worten: „Lieber Mitarbeiter, mir ist wichtig, Dich zu verstehen. Mir ist auch wichtig, Deine Emotionen kennenzulernen. Und Deine Gedanken in Bezug auf unsere aktuellen Herausforderungen. Zwei Dinge möchte ich allerdings nicht: Erstens, Dinge besprechen, die wir beide nicht beeinflussen können und zweitens, eine abstrakte Diskussion führen über Veränderungen allgemein. Lass uns stattdessen besprechen, was wir beide konkret tun können.“ Das wäre eine zielführende Ansage. Damit sich der Mitarbeitende gut verstanden fühlt, ist hilfreich, im Gespräch Teile seiner Aussagen explizit zu wiederholen. Das steigert, das Gefühl des Mitarbeiters verstanden zu werden. Ein solcher Dialog erfordert beim Zuhören einerseits Geduld und im zweiten Schritt das Äußern von glasklaren Erwartungen – ich wiederhole: im zweiten Schritt glasklare Erwartungen äußern.
Die Parallele
Hatten Sie schon mal so richtig Liebekummer und waren am Boden zerstört? Wenn dann jemand den Spruch bringt, dass andere Mütter auch schöne Töchter oder Söhne haben, hat Ihnen der Spruch geholfen? Natürlich nicht! Ebenso ist es bei Veränderungen. Menschen wollen spüren, dass jemand an Ihrer Seite ist und sie versteht. Und sie nicht mit einem doofen Spruch abtut. Echtes, ehrliches Interesse ist entscheidend. Das ist Ihre Aufgabe als Führungskraft bei Veränderungen.
Dann hätten Sie auch Seelsorger werden können? Ja, hätten Sie. Eine erfolgreiche Führungskraft tut beides. Ansagen machen und einfühlsam zuhören.
Zuhören = ziemliche Zeitverschwendung?
Diese ganze Zuhörerei ist Ihnen zu doof?
Nun, es gibt noch einen anderen Weg: Eine ungeduldige, glasklare Ansage seitens der Führungskraft.
Das könnte sich dann etwas so anhören: „Lass mich das ganz direkt sagen, lieber Felix. Wir benötigen aktuell Deine volle Expertise, um die Kunden zufrieden und bei Laune zu halten. Klar ist dieser Change für uns alle anstrengend und teilweise auch für uns alle unsicher. Daher bitte ich Dich Vollgas zu geben beim Thema Kundenbindung zusammen mit Deinem Kollegen Heinz. Ihr beide seid meine Bank. Bitte die Zähne zusammenbeißen und ran ans Telefon. Wenn das jemand kann, dann Heinz und Du.“
Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Felix beißen Felix und Hans wirklich die Zähne zusammen. Oder Felix sagt nach außen „Jaja“ und denkt „WTF! Wir müssen den Mist ausbaden, den die da oben sich ausgedacht haben“. Zu Heinz sagt Felix dann „Unser Chef, hat überhaupt nicht zugehört und unser Problem hier verstanden. Ich glaube ich guck‘ mich mal nach anderen Jobs um…“.
Eloquentes Überquatschen, die Schwester der Ungeduld
In meinen Führungskräftetrainings nenne ich diese bei vielen Führungskräften beliebte klare Ansage der Führungskraft „eloquent überquatschen“. Denn die emotionalen Barrieren im Kopf der Mitarbeiter werden damit in vielen Fällen nicht abgeschwächt, sondern eher noch verstärkt. Ein Schulterschluss zwischen Mitarbeiter und Führungskraft bleibt aus. Es wird nur über Lösungen für das geschäftliche Problem gesprochen, nicht aber über Lösungen für die – berechtigten!!! – Emotionen des Mitarbeiters.
Ungeduld, die Triebfeder für so machen Geschäftserfolg, kann einen Change-Prozess kaputt machen. Sand im Getriebe, verschleppte Optimierungen und Scheitern sind die Folgen.
Du bist dran
Wie gut bist Du dabei, die passende Mischung zwischen eigenen Erwartungen und empathischen Zuhören anzuwenden in Einzelgesprächen mit Deinen Mitarbeitenden? Wobei bist Du gut? Und was darfst Du noch lernen?
Und wenn Du Mitarbeiterin oder Mitarbeiter bist, dann leite bei Bedarf den Link zu diesem Artikel doch mal an Deine Führungskraft weiter…
Ich wünsche Dir viel Erfolg. Sowohl beim geduldigen Zuhören als auch beim Äußern von glasklaren Erwartungen mit einem definierten „Wer? Macht Was? Bis wann?“ als Ergebnis.
Dein Markus Jotzo
PS: Freue mich über Deinen Kommentar und Deine Weiterempfehlung des Blogs an andere Führungskräfte.
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